Martins Ernennung zum Bischof von Tours

Als Ratgeber und Nothelfer wurde Martin schnell in der gesamten Touraine bekannt. Nach etwa zehn Jahren, als ein neuer Bischof für Tours gesucht wurde, erkoren ihn die Menschen zu ihrem Favoriten. Diese Popularität - in Martins Vita haben die etwa zehn Jahre klösterlicher Aktivität kaum Niederschlag gefunden - kann nur durch öffentliche und wirkungsvolle Tätigkeit erklärt werden. Martin suchte sich zunächst dem Drängen der Bevölkerung zu entziehen. Jüngere Quellen erzählen, Martin habe sich in einem Gänsestall vor den Menschen versteckt, sei aber durch das aufgeregte Geschnatter der Gänse verraten worden. Gegen den Widerstand einiger Bischöfe setzte die Bevölkerung Martin als Bischof von Tours durch. Am 4. Juli 372 wurde Martin zum Bischof geweiht.

Bischof geworden wandte Martin alle Kraft auf, um seine Aufgabe mit großem Ernst und Nachdruck zu verwirklichen. Auch als Bischof lebte er die Tugend der Demut und die Bescheidenheit. Zu seiner Residenz erkor er eine Klosterzelle; als Bischof wollte er nicht auf Besinnung, Askese und Distanz zur weltlichen Geschäftigkeit verzichten. Auf steilem Felsen über der Loire stiftete er das Kloster Marmoutier (Maius Monasterium), in dem die Askese blühte und das zahlreiche Missionare und Bischöfe hervorbrachte. Diese Ausrichtung seines Klosters, Askese verbunden mit kulturellem Engagement und weltzugewandtem Missionsapostolat, prägte für Jahrhunderte die abendländischen Klöster zutiefst.

Von seinem Stützpunkt aus führten Martin zahlreiche Missionsreisen durch das Land, über seine eigene Diözese hinaus in das Gebiet der mittleren Loire (Chartres, Amboise, Levroux). Er kam auch nach Paris (Heilung eines Leprakranken) und nach Vienne. Martin suchte die Getauften zu stärken und die Nichtchristen von Jesus Christus zu überzeugen. Zustatten kamen ihm bei diesen Reisen seine Wortmächtigkeit, seine Wundertaten und Wunderheilungen (z.B. 386 in Trier) und ein über alle Verdächtigungen erhabener Gerechtigkeitssinn. Martin verkörperte ein Ideal: der Mönch als Priester, Arzt und Nothelfer. Es wird von ihm berichtet, dass er auch durch persönlichen Einsatz die Ausführung schwerer Strafen, die auf geringe Vergehen erlassen wurden, verhinderte. In einem Fall soll er eine ganze Winternacht vor dem Tor einer Burg gekauert haben, um einigen armen Sündern Leben und Freiheit zu erlangen.

Martins Biograph schildert in beispielhaften Episoden, wie der Bischof unerbittlich gegen nichtchristliche Kultstätten, insbesondere keltische Baumheiligtümer, vorging. Geschickt verstand es Martin, die heidnischen Kultstätten, Kulte, Feste und Bräuche christlich neu zu beleben.

Im Rahmen seiner bischöflichen Tätigkeit traf er mit den Großen seiner Zeit zusammen, unter anderem auch mit den Kaisern Valentinian I. und Maximus. Letzteren suchte er 386 in Trier auf, weil er für Priscillian, der vor dem kaiserlichen Gericht angeklagt war, Partei ergriff. Priscillian, ein vornehmer und gebildeter spanischer Laie, war der Leiter einer nach ihm benannten asketischen Gruppe. Von seinem Gegner, Bischof Ithacius, war Priscillians Bewegung 380 auf einer Synode zu Caesaraugusta, dem heutigen Saragossa, als Sekte verdammt worden. Bischof Ithacius gewann dadurch zwar das Interesse von Kaiser Maximus; unter den Bischöfen aber kam es zu Spannungen, weil erstmalig im Fall vermeintlicher Ketzerei ein Todesurteil ausgesprochen worden war. Martin war entschieden gegen dieses Urteil.

Im Gegensatz zu anderen Bischöfen hatte er bislang dem in Trier residierenden Kaiser Maximus die Reverenz verweigert, weil er nicht mit einem Mann an einem Tisch sitzen wollte, der durch Gewalt und Mord an die Macht gekommen war; Maximus hatte nämlich seinen Vorgänger Gratian ermordet. Um Priscillians Leben zu retten, suchte er den Kaiser auf, protestierte gegen das Todesurteil für Häretiker und gegen die Einmischung des Staates in kirchliche Angelegenheiten. Martins mutiges Auftreten in Trier erwarb ihm zwar die Achtung des Kaisers, ersparte aber Priscillian nicht den Tod: Er wurde mit sechs Gefährten in Trier lebendig verbrannt.


Postkarte mit Schokoladentaler zum St. Martin