Mantelteilung

Um 334 war der achtzehnjährige Gardeoffizier in Amiens stationiert. Neben Chalons und Reims war Amiens seit den Tagen Caesars von strategischer Bedeutung. Es ist bekannt, daß dort eine Reitertruppe unter dem Namen „equites catafractarii Ambianenses” aufgestellt wurde. In eben jene Zeit fällt das Ereignis, das bis heute das Andenken an Martin wachhält:

Eines Tages, mitten im Winter, der derart hart war, dass viele Menschen der strengen Kälte zum Opfer fielen, begegnete Martin am Stadttor von Amiens (civitas Ambianensium) einem armen, unbekleideten Mann. Martin selbst trug außer seinen Waffen und seinem Militärmantel nichts bei sich. Als der Bedauernswerte nun die Vorübergehenden bat, sie möchten sich seiner erbarmen, diese jedoch an dem armen Mann vorübergingen, verstand Martin, vom Geist Gottes erfüllt, dass der Bettler ihm zugewiesen sei, da die anderen Menschen kein Erbarmen zeigten. Aber was sollte er tun? Außer seinem Militärmantel, den er trug, besaß er nichts, hatte er doch schon, was er sonst besessen hatte, für eine ähnliche barmherzige Tat verwendet. Deshalb fasste er sein Schwert, mit dem er gegürtet war, teilte den Mantel in der Mitte entzwei und gab die eine Hälfte dem Armen, mit der anderen Hälfte bekleidete er sich. Einige der Umstehenden machten sich über ihn lustig, da ihn der abgerissene Mantel entstellte. Durchaus glaubhaft ist, worüber sich nur spekulieren lässt, weil es militärischem Denken entspricht. Außer dem Spott seiner Mitmenschen habe Martin auch noch eine Arreststrafe seitens seiner Vorgesetzten hinnehmen müssen: drei Tage Haft wegen mutwilliger Beschädigung von Militäreigentum.

In der Nacht, die auf die Mantelteilung folgte, erschien Martin im Traum Jesus Christus, bekleidet mit Martins halbem Militärmantel. Zu den ihn umgebenden Engeln sprach Christus: „Martinus, der noch nicht getauft ist, hat mich mit diesem Mantel bekleidet!” In diesem Traum sah der junge Offizier eine erneute Aufforderung, den Militärdienst aufzugeben, um in den Dienst Gottes zu treten. Nach mehrjähriger Vorbereitungszeit ließ sich Martin in Amiens, damals schon Bischofssitz (346 nahm ein Bischof von Amiens am Konzil in Köln teil), taufen. Seinen Militärdienst gab er aber noch nicht auf, weil sein Hauptmann, mit der er befreundet war, ihn gebeten hatte, erst nach zwei Jahren um die Entlassung aus dem Militärdienst zu bitten.

Die älteste Quelle erwähnt an keiner Stelle ein Pferd, auf dem der spätere Heilige bei der Mantelteilung gesessen hätte. Die Reiterpose des Helden mit dem Schwert war aber in römischer Zeit eine bekannte Stereotype in der Kunst. Spätere Darstellungen haben diesen alten Bildtyp, der den heldenhaften Soldaten darstellte, übernommen und zugleich verfremdet: Nicht mehr einen unterlegenen Gegner zwingt der Reiter nun in den Tod, er erhält durch das Teilen einem Notleidenden das irdische Leben und erwirbt sich durch diese christliche Haltung das ewige Leben.


Postkarte mit Schokoladentaler zum St. Martin